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Im 2. Lockdown war ich in Wien, aus familiären Gründen. Aber auch, um meiner Trauer und meinem Entsetzen nach dem Anschlag Raum zu geben und die Gedenkorte zu besuchen, dort Kerzen anzuzünden. Das war mir seit Wochen ein Bedürfnis gewesen, seitdem der Anschlag passiert ist. Der hatte mich ziemlich mitgenommen, kenne ich die Gegend doch seit meiner Kindheit. Da meine Mutter aus Wien stammte, besuchten wir hier oft die Oma, fast alle Ferien verbrachten wir hier. Der erste Bezirk war dabei so eine Art Spielplatz für mich und meine Schwester. Meine Oma wohnte in der Hollandstraße, im 2. Bezirk, auf der anderen Seite des Donaukanals. Daher mußte man nur über die Salztor- oder die Marienbrücke gehen, und schon war man am Franz-Josefs-Kai, bei der Ruprechtskirche, am Schwedenplatz und in der Rotenturmstraße. In den kleinen Gässchen der Innenstadt gingen wir auf Entdeckungsreise.
Schon im späteren Volksschulalter ließ uns meine Mutter alleine im Ersten frei herumlaufen, was man heute vielleicht nicht mehr so machen würde. Erst am Abend kamen meine Schwester und ich gewöhnlich nach Hause, mit Taubenfedern in der Hand und sonstigen Dingen, die wir auf der Straße gefunden hatten, nicht immer zur Freude der Erwachsenen.
Jedenfalls bin ich schon so oft da langgegangen, ganz viele Erinnerungen sind damit verbunden, die Orte sind mir so vertraut. Und genau dort passierte dann dieser Anschlag, der 5 Menschenleben kostete, der so viele verletzte und traumatisierte. Daher war ich sehr froh, als es sich ergab, daß ich schließlich doch nach Wien fahren konnte, trotz Lockdowns, um diese Orte, die nun zu Tatorten und Gedenkorten geworden waren, aufzusuchen und dort zu trauern.
Ich hatte extra mein Radl in den Railjet mitgenommen, um die Öffis nicht benutzen zu müssen, und mich extra warm angezogen. Der Hauptbahnhof war leer, alle Geschäfte und die meisten Imbisse geschlossen, erstaunlicherweise keine Polizei zu sehen. Ich fuhr also zuerst nach Favoriten hinein, um die familiäre Angelegenheit zu regeln. Danach in den ersten Bezirk, zu eben diesen besagten Orten. Es war sehr bewegend. All die Kerzen, an den verschiedenen Stellen, wo vier Menschen wahllos ihr Leben lassen mußten (und andere zu Helden wurden).
Da der Wirt des chinesischen Restaurants, das er die letzten Jahre mühsam aufgebaut hatte, an dem noch die Einschußlöcher sichtbar sind; dort die Lokalbesucherin gegenüber der Synagoge, die sich, laut Schwester, wohl eher mit dem Täter über dessen Probleme unterhalten hätte, als diesen zu beschimpfen; die deutsche Kellnerin, die eigentlich Kunst studierte, und sich was dazuverdienen wollte; und dann auch noch der jungen Mann ungefähr gleichen Alters wie der Täter, der ironischerweise auch noch denselben Migrationshintergrund aufwies. An jedem Tatort Kerzen über Kerzen, vereinzelt auch Blumen, Botschaften in verschiedenen Sprachen, auch auf Arabisch.
Man merkte, das nimmt die Leute immer noch mit. Immer wieder blieben welche stehen, redeten, gedachten in Stille. Ebenfalls präsent – Militärpolizei, schwer bewaffnet. Zwei standen gegenüber der Ruprechtskirche, ein ganzer Trupp ging dann auch Streife, marschierte mit Sturmgewehren die Stiegen hinunter. Schon heftig, das kannte man bisher nicht von Wien. Oder doch?
Polizisten vor der Synagoge, ja, traurigerweise. Mir fielen auch die Cobra-Beamten ein, an denen ich als kleines Mädchen regelmäßig beim alten OPEC-Haus am Donaukanal vorbeigegangen war, immer mit einem gewissen Gruseleffekt und einer Irritation. Es hatte einmal einen terroristischen Anschlag in Wien gegeben, sagten die Erwachsenen.
So schrecklich und überraschend jene Geiselnahme von 1975 mit einem Todesopfer wohl gewesen war – der Anschlag am 2. November hat für mich ein neues Level des Terrors erreicht. Der Attentäter von 2020 zielte auf x-beliebige Menschen, nicht um etwas zu erpressen, sondern allein um zu töten. Er hätte auch noch weitere Leute erschossen, wäre er nicht so schnell überwältigt worden. Der Islamist hatte es auf die Allgemeinheit abgesehen, auf unsere Lebensweise in ihrer Vielfalt, und hat das pulsierende Herz der Stadt getroffen.
Ich ging auch zu der Stelle, an der der Täter erschossen wurde. In den Nachrichten hatte es immer geheißen, „auf den Stiegen zur Ruprechtskirche“. Tatsächlich war es aber unten, am Ruprechtsplatz, unterhalb der Kirche. Ein großes Kreuz ist hier von der Polizei auf den Boden gesprayt worden. Ein Kreuz für den IS-Sympathisanten, so hatte er sich das wohl nicht vorgestellt. In der Nähe auch dort Kerzen, wenn auch nicht so viele. Und an eine Hausmauer gepickte Blätter mit Fragen, Überlegungen. Warum.
Trotz all der Trauer – man merkte in Wien ein ganz eigenes, ungewohntes Gefühl, auch weil keine Touristen unterwegs waren, ein heimeliges. Wien unter sich, und Wien steht zusammen. Das war irgendwie sehr schön. Ich fuhr mit dem Rad dann noch hinüber in den 2., zum Karmelitermarkt, wo ich als Kind auch sehr oft war, weil meine Oma da immer eingekauft hat. Marktbetrieb war jetzt natürlich keiner, dafür diente der große Platz nun offensichtlich als Rollerparadies für Kinder. Auch Buben mit Beikeles sausten vorbei, so wie ich es schon als Kind in der Leopoldstadt erlebt hatte. Eltern unterhielten sich derweil am Rande und kauften sich ein warmes Getränk beim Bäcker, der zum Glück noch geöffnet hatte. Es dämmerte schon, und in den Fenstern tauchte Weihnachtsbeleuchtung auf, die aber nicht überkanditelt war. Das alles hatte etwas sehr Gemütliches. Ich habe mich sehr wohl gefühlt, trotz des traurigen Anlasses.
Und selbst wenn eine Randalierin die Kerzen kurz darauf umgeschmissen hat, – die Würde der Trauer konnte sie nicht wegwischen.
Alle Fotos: Betty Quast